Neal E. Miller und John S. Dollard
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John S. Dollard wurde im Jahr 1900 in Wisconsin geboren, studierte an der Universität dieses Bundesstaates und promovierte 1931 im  Fach Soziologie an der Universität von Michigan in Chicago zum Ph.D. Sein Interesse an der Psychoanalyse führte ihn an das Berliner Psychoanalytische Institut, an dem er eine psychoanalytische Ausbildung erhielt. Nach seiner Rückkehr in die USA lehrte er Soziologie, Anthropologie und Psychologie an der Yale Universität und wurde zu einem Schüler Hulls. In Yale traf er mit Neal E. Miller zusammen, der ebenfalls ein Studium der Psychoanalyse, allerdings bei Anna Freud in Wien, absolviert hatte und 1936 zur Gruppe um Hull gestoßen war. In Zusammenarbeit mit anderen Mitglieder der sogenannten Yale-Gruppe wie R. R. Sears und O.H. Mowrer versuchten sie, psychoanalytische Konzepte mit Erkenntnissen aus der systematischen Verhaltenstheorie Hulls zu verbinden. Daraus entstand als sehr bekanntes frühes Beispiel die sogenannte Frustrations-Aggressions-Hypothese, deren Hauptannahmen sind, daß Frustration immer zu Aggression führt und Aggression immer eine Folge von Frustration ist. Die Intensität der Aggression soll sich direkt aus der Intensität der Frustration ergeben, und aggressive Handlungen sollen zu einem Abbau der Aggression und zu einer geringeren Auftretenswahrscheinlichkeit weiterer aggressiver Handlungen führen (vgl. Katharsis-Hypothese).

Miller und Dollard arbeiten des weiteren auf dem Gebiet des Imitationslernens zusammen. Sie nahmen an, daß Imitation anfangs zufällig auftrete und dann in seiner Häufigkeit zunehme, wenn es verstärkt wird. So soll z.B. ein kleines Kind lernen, von seinem älteren Geschwister eine Verhaltensweise zu imitieren, wenn es zufällig das gleiche Verhalten wie das ältere Geschwister zeigte und deshalb von den Eltern verstärkt wurde. Durch Generalisation könne es dazu kommen, daß das jüngere Kind auch andere Verhaltensweisen des Bruders mit Verstärkungen verknüpfe. In Experimenten mit Ratten versuchten Dollard und Miller ihre Hypothese dadurch zu testen, daß sie eine Gruppe von Ratten, die einer anderen Gruppe folgten, mit Futter belohnten, während sie eine andere Gruppe nicht belohnten. Die belohnte Gruppe folgte daraufhin häufiger der “führenden” Ratte als die Kontrollgruppe und zwar auch, wenn sie nicht mehr dafür belohnt wurde. Ihre Annahmen und Hypothesen zu dem Gebiet des Imitationslernen veröffentlichten Miller und Dollard 1941 in dem Buch “Social Learning and Motivation”.

1944 veröffentlichte Miller eine Arbeit, in der er erste Überlegungen zu dem sogenannten Gradientenmodell des Konfliktes beschrieb. Dieses Modell geht davon aus, daß psychische Konflikte bei einem Individuum durch sich widersprechende Verhaltenstendenzen zustande kommen. Miller geht davon aus, daß die Tendenz zur Annäherung an ein appetitives Objekt umso größer ist, je näher sich das Individuum bei ihm befindet. Genauso sei die Tendenz zur Entfernung von einem aversiven Objekt umso größer, je näher ihm das Individuum ist. Beide Tendenzen sollen durch sogenannte Annäherungs- bzw. Vermeidungsgradienten darstellbar sein. Die Stärke der Gradienten sei vom Triebniveau (siehe die mittlere Phase der systematischen Verhaltenstheorie von Hull) abhängig. Entscheidend für Millers Modell ist, daß der Vermeidungsgradient eine größere Steigung als der Annäherungsgradient habe, so daß bei größerer Entfernung von einem ambivalenten Objekt das Individuum auf dieses Objekt zustrebe, um dann an dem Punkt stehen zu bleiben, der durch die gleiche Stärke beider Gradienten gekennzeichnet ist. Dies kennzeichne einen Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt.

Diese Überlegungen zum psychischen Konflikt flossen auch in die Arbeit Dollards und Millers zur Genese von Persönlichkeit und Neurosen ein, die 1950 als “Personality and Psychotherapy” veröffentlicht wurde. Darin betonten die beiden Wissenschaftler auch die Bedeutung wichtiger Elemente aus der systematischen Verhaltenstheorie, wie z.B. das Triebkonzept Hulls. Dieses Konzept wird aber dadurch erweitert, daß sekundäre Triebe angenommen werden, die durch eine Assoziierung von Situationen mit der Reduktion biologischer Triebe erlernt werden.

Eine Neurose sei nach Dollard und Miller (1950) ein Ausdruck von erlernten Konflikten zwischen Trieben, wobei diese Konflikte nicht bewußt sind. Sie entstünden während der Sozialisation des Kindes, in der es lernen müsse, bestimmte Triebe mit den Anforderungen der Umwelt in Übereinstimmung zu bringen. So könnten manche Triebe Verhaltensweisen hervorbringen, die von den Eltern bestraft werden. Dies kann zu einem Angsttrieb in Verbindung mit den bestraften Verhaltensweisen führen. Allerdings müsse der Angstantrieb als sekundärer, d.h. erlernter Trieb nicht allein das Verhalten bestimmen, sondern er wirke oft zusammen mit dem primären Trieb in einem Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt, bei dem einer der Triebe das Verhalten fordert, der andere es verbietet. Das Ergebnis dieses Konfliktes sei das neurotische Symptom in Kombination mit der Angst. Das Symptom verringere die Angst dadurch, daß es eine Möglichkeit der Lösung des Annäherungs-Vermeidungs-Konfliktes darstelle. Auf den Fall einer Frau mit agoraphobischen und Paniksymptomen versuchten Dollard und Miller (1950) ihren Vorschlag zur Vereinigung der klassischen Psychoanalyse mit der Hullschen Verhaltenstheorie anzuwenden. Die Interpretation war, daß die Frau Angst vor sexueller Versuchung habe, wenn sie allein unterwegs sei. Es stellte sich heraus, daß sie sowohl Angst vor der Versuchung, aber auch Angst habe, dieser Versuchung nicht abgeneigt zu sein. Dies könne als Annäherungs-Vermeidungs-Konflikt aufgefaßt werden, der dazu geführt habe, daß die Frau nicht mehr das Haus verlassen und angefangen habe, ihre Herzschläge zu zählen, damit sie sich von der sexuellen Versuchung ablenken könne. Da diese Ängste ihr aber nicht bewußt werden dürften, habe sie ihre Ängste rationalisiert und an eine Herzschwäche geglaubt.

Mit ein Experiment mit Ratten aus dem Jahr 1948 trug Miller wesentlich zur Entwicklung der Zwei-Faktoren-Theorie der Angst von Mowrer bei. Bei diesem Experimenten wurden Ratten einzeln in einen Käfig gesetzt, der aus einem weißen und einem schwarzen Abteil bestand, zwischen denen sie sich frei bewegen konnten (shuttle box). Natürlicherweise bevorzugen Ratten das schwarze Abteil. Der Drahtboden dieses Abteils wurde jedoch zeitweise unter Strom gesetzt. Daraufhin vermieden die Ratten im Laufe der Zeit das schwarze Abteil und hielten sich meistens im weißen Abteil auf. Die Vermeidungsreaktion blieb auch bestehen, nachdem lange keine Stromstöße mehr erteilt wurden. Die dauerhafte Angstreaktion kann mit Hilfe der Zwei-Faktoren-Theorie erklärt werden: Aufgrund der Elektroschocks kommt es zu einer unkonditionierten Reaktion im schwarzen Abteil, die mit Flucht verbunden ist. Der Schockreiz wird dabei mit den Umgebungsreizen assoziiert, die von dem schwarzen Abteil ausgehen. Daraufhin löst das schwarze Abteil als konditionierter Reiz auch ohne Gabe von Elektroschocks bereits eine Vermeidungsreaktion aus. Diese wird negativ verstärkt, weil auf sie kontingent ein Ausbleiben der Elektroschocks folgt - gleichgültig, ob dies von den Experimentatoren beabsichtigt ist oder nicht.

John S. Dollard wurde 1966 emeritiert und starb 1980. Neal Miller forschte noch bis 1981 als Professor an der Rockefeller Universität und wurde zu einem Wegbereiter für die kognitive Neurowissenschaft und die Verhaltensmedizin (siehe Millers Biographie ). Er starb erst 2002.

Literatur:

Miller, N., Sears, R.R., Rosenzweig, S., Bateson, G., Levy, D.M., Hartmann, G.W., & Maslow, A.H. (1941). Symposium on the frustration-aggression hypothesis. Psychological Review, 48, 337-366.

Miller, N. E. & Dollard, J. (1941). Social Learning and Imitation. New Haven: Yale University Press.

Dollard, J. & Miller, N. E. (1950). Personality and Psychotherapy. New York: McGraw-Hill.


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