Herrnstein und das Matching Law
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Angeregt durch einen Kommentar Tolmans auf seine Sichtweise des Wahlverhaltens entschied sich Skinner in den 40er Jahren in die von ihm entwickelte Experimentalkammer zwei Hebel oder Tasten einzubauen und die Versuchstiere mit zwei unabhängigen Verstärkungsplänen zu konfrontieren, die an diese Hebel bzw. Tasten gekoppelt waren. Obwohl er schon nach einigen Experimenten die Vermutung äußerte, daß das Verhalten der Versuchstiere mit den Wahrscheinlichkeiten der Verstärkung an den Hebeln bzw. Tasten zusammenhing, war es erst sein Schüler Richard J. Herrnstein , der diese Vermutung näher untersuchte und sie in eine mathematische Form brachte, die heute als das Matching Law bekannt ist. Herrnstein hatte an drei Tauben das Pickverhalten in Gegenwart von zwei Tasten untersucht, die mit zwei unabhängigen simultanen variablen Intervallverstärkungsplänen verbunden waren, und Verhaltensmuster erhalten, die sich dadurch beschreiben ließen, daß die relative Häufigkeit der Reaktionen (relative Reaktionsrate) gleich der relativen Häufigkeit der Verstärkungen (relative Verstärkungsrate) an einer Taste war. Mathematisch läßt sich dieser Befund ausdrücken als

P1 ist die Anzahl der Reaktionen an einer Taste, P2 die Anzahl der Reaktionen an der anderen Taste. R1 ist die Anzahl der erhaltenen Verstärkungen an der einen Taste, R2 die Anzahl der erhaltenen Verstärkungen an der anderen Taste. Mathematisch äquivalent zur ersten Gleichung ist folgender Ausdruck:

Die beiden Gleichungen sind heute als das Matching Law bekannt und stellen eine quantitative Beschreibung molaren Verhaltens dar. Statt der Reaktionsraten können auch die Zeiten, die die Versuchstiere auf die beiden Tasten reagieren, in die Gleichungen eingesetzt werden.

Herrnstein (1970, 1974, 1979) entwickelte ausgehend von den Befunden zum Matching Law eine quantitative Theorie des Verhaltens (matching theory), nach der alles Verhalten Wahlverhalten ist. Die Theorie läßt sich in folgenden Annahmen zusammenfassen:

  1. Die Häufigkeit oder Rate der Reaktionen ist proportional zur Häufigkeit oder Rate der Verstärkungen, die aufgrund der Reaktionen erhalten wurden, relativiert an den Gesamtverstärkungen in der Situation. Sie ist unabhängig von der Art der Verstärkungspläne, der Reaktionen und der Verstärkungen.
  2. Alle Verhaltensweisen, einschließlich sogenannten Hintergrundverhaltens, z. B. physiologische Vorgänge, die nicht mit irgendeinem offensichtlichen Verstärker assoziiert sind, treten auf, weil sie verstärkt werden. Es existiert kein unverstärktes Verhalten.
  3. Die Menge der Verhaltensweisen in einer Situation ist konstant und unabhängig von Änderungen in Anreizbedingungen wie z. B. Deprivation, Nahrungsqualität oder Menge der Verstärkung.
  4. Die grundlegende Gleichung dieser Theorie wird quantitatives Effektgesetz (“quantitative law of effect”) genannt und lautet:

Das quantitative Effektgesetz beschreibt die Anzahl der Reaktionen P gegenüber einer Verstärkungsquelle in Abhängigkeit von der Anzahl der erhaltenen Verstärker R, der Anzahl der durch andere Verstärkungsquellen erhaltenen Verstärker R0 sowie der Konstante k, welche die maximale Reaktionsrate repräsentiert. Typischerweise beschreibt diese Gleichung die in der unten stehenden Abbildung wiedergegebene Kurve, die als Herrnsteins Hyperbel bezeichnet wird und die Abhängigkeit der Reaktionsrate von der Verstärkungsrate angibt:

de Villiers und Herrnstein (1976) und de Villiers (1977) überprüften in Überblicken zu den bis zum damaligen Zeitpunkt bekannten Studien, die Experimente unter verschiedenen Bedingungen (verschiedene Reaktionsanforderungen, Verstärkungspläne, Verstärkertypen) und Versuchsteilnehmern (u.a. Ratten, Tauben, Affen und Menschen) umfaßten, quantitative Ableitungen aus der Matching-Theorie und insbesondere das Matching Law. Sie kamen zu dem Schluß, daß die empirischen Ergebnisse bis zu diesem Zeitpunkt eine eindrucksvolle Bestätigung des Herrnsteinschen Ansatzes darstellen.

Die mit dem Matching Law verbundene quantitative Verhaltensanalyse stellt eine Weiterentwicklung und Modifikation des Skinnerschen Ansatzes dar. In ihr ist Skinners Ablehnung quantitativer Methoden und Formulierungen aufgegeben und es findet sich ebenfalls eine Abkehr vom Kontiguitätsprinzip als dem wichtigsten Prozeß im Rahmen der Verstärkungstheorie: Während Skinner noch davon ausging, daß eine raum-zeitliche Nähe (Kontiguität) von Reaktion und Reiz die Basis des Operanten Konditionierens und der Reiz-Reaktions-Assoziation darstellt, weisen die Befunde zum Matching Law und der Matching-Theorie darauf hin, daß Kontingenz (Korrelation von Reiz und Reaktion über die Zeit) das zugrundeliegende Prinzip ist. Die Forschung zum “Matching Law” veränderte die experimentelle Verhaltensanalyse auch dahingehend, daß mehr und mehr theoriebezogene Forschung betrieben wurde, so in Bezug auf die Zusammenhänge zwischen dem Matching Law, der Signalentdeckungstheorie, evolutionsbiologischen Theorien und Theorien zur Mikroökonomie. In jüngerer Zeit sind im Bereich der Verhaltensbiologie besonders Vereinigungsversuche von Matching Law und ideal freier Verteilung (IFD) hervorzuheben, zu denen auch meine Diplomarbeit beitrug.

Literaturempfehlungen:

Baum, William M. (2002). The Pigeon Lab under Herrnstein.Journal of the Experimental Analysis of Behavior, 77, 347-355.

Herrnstein, R. J. (1970). On the Law of Effect. Journal of the Experimental Analysis of Behavior, 13, 243-266


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