Spezifische Phobien
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Übersicht

Symptome

Verlauf

vermutete Ursachen

Therapie

 

Symptome

Mit dem Begriff “Phobie” werden eine Reihe psychischer Störungen bezeichnet, die keineswegs einheitlich sind. Im DSM-IV werden derzeit 3 Gruppen unterschieden:

  • Agoraphobie (mit und ohne unerwartete Panikattacken)
  • soziale Phobie
  • spezifische Phobien

Zwar haben die Störungen in diesen Gruppen viele Merkmale gemeinsam, sie werden aber aufgrund ihrer Unterschiede getrennt beschrieben. Die Agoraphobie tritt häufig in Verbindung mit der Panikstörung auf und stellt mit ca. 55% der Fälle die größte Gruppe unter den phobischen Störungen dar. Die Soziale Phobie beinhaltet Ängste in sozialen und Leistungssituationen und folgt mit ca. 25% der betroffenen Personen. Auf die Gruppe der Spezifischen Phobien entfallen die übrigen Angstzustände innerhalb der phobischen Störungen.

Spezifische Phobien sind Angststörungen, die durch ausgeprägtes Vermeiden bestimmter Gegenstände, Tiere oder Situationen und durch intensive Angstreaktionen bei Konfrontation mit diesen gekennzeichnet sind. Häufig treten situationsgebundene Panikattacken im Falle der Konfrontation auf. Obwohl die Betroffenen erkennen, daß ihr Verhalten unbegründet oder übertrieben ist, können sie dieses nicht kontrollieren.

Die Gruppe der spezifischen Phobien ist sehr heterogen zusammengesetzt, was sich bereits anhand der vielen  griechischen und lateinischen Namen für einzelne Phobien wie z.B. die Flugangst (Aviophobie), die Höhenangst (Akrophobie) oder die Spinnenphobie (Arachnophobie) zeigt. Schon 1914 zählte der US-amerikanische Psychologe Stanley Hall 132 Namen für einzelne Phobien auf. Bei Tuma und Maser (1985) finden sich dann ca. 250 Bezeichnungen. Diese Bezeichnungen sind jedoch sowohl für die Aufklärung der Ursachen als auch für die Diagnostik als auch für die Behandlung der Störungen unbedeutend, so daß es schon häufig den Vorschlag gab, ganz auf sie zu verzichten. Bedeutsamer als diese Klassifikation nach dem einzelnen Angstinhalt ist die Gruppierung der Phobien in Typen ähnlicher Angstinhalte. Bei den spezifischen Phobien kann man folgende Untertypen unterscheiden:

  • Situativer Typus: z.B. Flugangst, Klaustrophobie (geschlossene Räume ohne Fluchtmöglichkeit), öffentliche Verkehrsmittel, Tunnel, Brücken.
  • Umwelt-Typus: z.B. Höhenangst, Gewitterangst.
  • Blut-Spritzen-Verletzungs-Typus: z.B. Injektion, Zahnarzt.
  • Tier-Typus: z.B. Spinnen, Vögel, Schlangen.
  • Anderer Typus: z.B. phobische Vermeidung von Situationen, die zum Ersticken, Erbrechen, oder zum Erwerb einer Krankheit führen könnten; bei Kindern, Vermeidung von lauten Geräuschen oder kostümierten Figuren.

Die angegebene Reihenfolge der Untertypen entspricht zum einen der Häufigkeit des Auftretens bei Erwachsenen, zum anderen erhöht das Vorliegen einer Phobien aus einem bestimmten Untertypus das Risiko einer weiteren Phobie des gleichen Untertypus. Kinder, die unter einer Phobie leiden, haben meistens Angst vor Ärzten, der Dunkelheit oder Fremden. Bei ihnen äußern sich die Angstanfälle auch anders als bei Erwachsenen: Sie weinen und klammern sich an Erwachsene oder Dinge und erkennen das Übertriebene oder Unbegründete der phobischen Reaktionen oft nicht.

Spezifische Phobien treten in der Bevölkerung zu ca. 4% bis 8,8% auf. Die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben an einer Phobie zu erkranken, beträgt dagegen 7,2% bis 11,3%. Frauen erkranken dabei in etwa doppelt so häufig wie Männer. Allerdings gibt es Unterschiede bzgl. der verschiedenen Untertypen: Bei Phobien des Tier- Situations- und und Umwelttypus findet man zwischen 75% und 90% betroffene Frauen, während es beim Blut-Spritzen-Verletzungs-Typus 55% bis 70% sind.

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Verlauf

Spezifische Phobien entwickeln sich gewöhnlich in der Kindheit oder im frühen Erwachsenenalter. Das Ersterkrankungsalter hängt mit dem Untertypus zusammen, zu der die Phobie gehört. Bei Phobien vom Situativen Typus gibt es zwei Häufungen, eine im Kindesalter und eine um Mitte 20. Für Phobien vom Umwelttypus geht man überwiegend von einem Beginn in der Kindheit aus, auch wenn einige Fälle von Höhenangst erst später aufzutreten scheinen. Auch das Ersterkrankungsalter für Phobien vom Tier- und vom Blut-Spritzen-Verletzungs-Typus wird in der Kindheit angesiedelt.

Der Verlauf spezifischer Phobien ist meistens chronisch. Die Störungen halten oft 20 Jahre und länger an. Wittchen (1988) fand z.B. bei einer Untersuchung, daß 93% der Untersuchten nach 7 Jahren noch die Symptome der gleichen Phobie aufwiesen. Das DSM-IV spricht von einem Anteil von ca. 20% der Betroffenen, bei denen sich die Phobie im Laufe der Zeit zurückentwickelt. Einige Phobien sollen allerdings von weniger langer Dauer sein, z.B. Ängste vor der Dunkelheit und vor Ärzten und medizinischer Behandlung.

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Vermutete Ursachen

Klassisch werden Phobien mit der sogenannten Zwei-Faktoren-Theorie von O. H. Mowrer erklärt. Diese Theorie nimmt an, daß phobisches Verhalten erlerntes Verhalten ist. Zwei Faktoren werden - wie der Name sagt - als verantwortlich für das Erlernen und die Aufrechterhaltung des Verhaltens angenommen:

  1. Klassische Konditionierung und Reizgeneralisierung: Assoziation von ursprünglich neutralen, aber mit der Angst-Situation oft einhergehenden Reizen (z.B. Treppe, Geländer, Kante eines Abgrundes) mit ursprünglich angstauslösenden Situationen (z.B. Schauen in die Tiefe bei Gleichgewichtsverlust). Dadurch wird unwillkürlich gelernt, auf die einst neutralen Reize ebenfalls mit Angst zu reagieren. Reize, die so ähnlich wie die einst neutralen Reize sind, lösen auch Angst aus (Reizgeneralisierung).
  2. Operante Konditionierung: Die klassisch konditionierten Reize lösen in der Folge Angst und Flucht/Vermeidungsverhalten aus. Flucht/Vermeidungsverhalten wird immer wieder auftreten, weil unwillkürlich gelernt wird, daß Flucht/Vermeidung mit einem Angstabbau einhergeht. Dadurch wird aber nie die Erfahrung gemacht, daß die angstauslösenden Reize meistens gar nicht gefährlich sind und die Angst deshalb unnötig ist. Deshalb bleibt die Angst bestehen und wird nicht verlernt.

Da die Angst besonders leicht auf bestimmte Reize / Situationen zu konditionieren ist, wird die Zwei-Faktoren-Theorie heute durch die Preparedness-Theorie von Martin Seligman ergänzt: Nach dieser Theorie gibt es bestimmte Reize / Situationen, die aus stammesgeschichtlichen / evolutionären Gründen besonders dafür prädisponiert sind, Angst auszulösen. Das sind z.B. Spinnen, Schlangen, aber eben auch Höhen.

Eine weitere Ergänzung der Zwei-Faktoren-Theorie erfolgte durch die Annahme von Modellernen, da einige Menschen Phobien gegenüber Reizen und Situationen entwickeln, denen sie niemals direkt ausgesetzt waren (z.B. bei der Flugangst von Personen, die niemals geflogen sind). Die Theorien zum Modellernen nehmen an, daß die Beobachtung von Furchtreaktionen bei nahe stehenden Personen oder auch von Katastrophen wie Flugzeugabstürzen zu gelerntem Angst- und Vermeidungsverhalten führen können (Rachman, 1977, 1990).

Drittens werden Prozesse der Informationsverarbeitung und Bewertung von Situationen herangezogen, um das Entstehen von Phobien zu erklären. Situationen sollen demnach durch einseitige Konzentration auf bestimmte Aspekte (z.B. Fokussieren auf schreckliche Flugzeugunglücke bei gleichzeitiger Mißachtung der geringen Wahrscheinlichkeit, mit einem Flugzeug abzustürzen) zu phobischem Verhalten führen können.

Die vermuteten Ursachen konnten bei Phobikern in einer Untersuchung von Öst und Hugdahl (1981) wiedergefunden werden. 57,5% der Phobiker nannten Erlebnissen, in denen sehr wahrscheinlich Konditionierungen wie durch die Zwei-Prozeß-Theorie angenommen stattgefunden hatten. 17% berichteten von Modellernprozessen und 10,4% von der Beeinflussung durch bestimmte Informationen. Allerdings blieb eine Gruppe von 15,1% der Phobiker, die keine Erlebnisse angeben konnten, die zu ihrer Phobie geführt haben könnten.

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Therapie

Die Schwere und Therapiebedürftigkeit von spezifischen Phobien ist sehr unterschiedlich. Phobien bzgl. Schlangen, Dunkelheit, Höhen, Fahrstühlen u. dgl. führen selten zu schweren Beeinträchtigungen und zum Aufsuchen eines Therapeuten, weil die Betroffenen die Angst auslösenden Situationen leicht vermeiden können oder kaum mit ihnen in Kontakt kommen (z.B. mit Schlangen). Dagegen können andere Phobien wie z.B. Angst vor Ansteckungen, AIDS und anderen Krankheiten oder medizinischer Behandlng schwerste Beeinträchtigungen nach sich ziehen, weil die betroffenen Personen ständig an sie denken, ihr Verhalten umfassende Vermeidungsrituale beinhaltet und bei Phobien vor medizinischer Behandlung und Ärzten körperliche Erkrankungen nicht therapieren lassen.

Die Behandlung spezifischer Phobien ist eines der klassischen Anwendungsfelder der Verhaltenstherapie. Auf diesem Gebiet kommen alle Techniken der Exposition zum Einsatz, bei der die Patienten mit den angstauslösenden Situationen und Reizen über eine längere Zeit hinweg konfrontiert werden. Diese Methoden gelten als besonders vielversprechend, wenn die Patienten

  • zur Therapie bereit sind,
  • bis zum Therapiebeginn die angstauslösenden Reize und Situationen durchgehend vermieden haben,
  • vor Ausbruch der Störung sozial gut integriert waren
  • keine depressiven Beschwerden aufweisen und
  • kein Alkohol- und Beruhigungsmittelmißbrauch vorliegt.

Einzelheiten zur Durchführung der Expositionsbehandlungen werden auf den Seiten zur Verhaltenstherapie beschrieben (hier). Die Effektivität der Verfahren bei spezifischen Phobien ist außerordentlich hoch. Selbstverständlich gilt dies - wie bei allen Therapien - nur, wenn die Verfahren nach den Regeln der Kunst angewendet werden. Eine medikamentöse Behandlung mit Benzodiazepinen ist u.U. vorübergehend sinnvoll.

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